Herr Dr.med. Holger Groß Facharzt fur Orthopädie und Sportmedizin, Schulter- und Kniechirurgie, Ambulante Operationen
Allg. Sprechstunde: +49.6831.3100 +49.6831.5031792 info@dr-gross.deDer deutsche Nationalspieler Sami Khedira ist in Topform beim Länderspiel Deutschland gegen Italien. Doch in der 67. Minute kommt es bei einem Zweikampf mit Andrea Pirlo zum persönlichen Super Gau. Sein rechtes Kniegelenk dreht nach innen weg. Der 26-Jährige fasst sich sofort ans Bein und sackt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Boden. Für Moderatoren und Zuschauer ist klar, hier ist etwas Schlimmes passiert.
Der Riss des vorderen Kreuzbandes ist der Super Gau für jeden Sportler. Warum ist dieses nur ca. 2,8 cm lange Band im Kniegelenk so wichtig und warum können Verletzungen des vorderen Kreuzbandes das Aus einer Sportlerkarriere bedeuten.
Das vordere Kreuzband ist der wichtigste Stabilisator im Kniegelenk. Es liegt mittig im Kniegelenk und ist in erster Line dafür verantwortlich, das nach vorne Rutschen des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel zu verhindern.
Von vielen nicht bedacht ist seine Funktion als Messfühler. Ein gesundes Kreuzband enthält eine Vielzahl an Sensoren zur Spannungs- bzw. Zugmessung. Das heißt, es wird ständig gemessen wie hoch die Spannung des Bandes ist bzw. wie stark an dem Band gezogen wird. Durch eine Nervenverbindung mit dem Rückenmark können so reflektorisch die Muskeln im Bein angesteuert werden. Noch bevor ich eine Verschiebung im Kniegelenk bewusst wahrnehme, hat das Kreuzband den gefährlichen Zustand bereits registriert. Über seine Nervenverbindung und den Reflexkreis mit den Muskeln im Bein wird sofort gegengesteuert und so schlimmeres vermieden. Dies wird auch als Propriozeption bezeichnet.
Dies macht den Verlust des Kreuzbandes doppelt schlimm. Zum einen fehlt das stabilisierende Band und zum anderen fällt auch das hochsensible Messgerät mir seinem Reflexkreis aus.
Der Ausfall der Propriozeption bei einem Kreuzbandriss ist es auch, der einem ausschließlichen Versuch der muskulären Stabilisation oft scheitern lässt. Natürlich ist ein Kreuzbandverletzter in der Lage seine Muskulatur erheblich aufzubauen um damit eine verbesserte Kniegelenkstabilisierung zu erlangen. Aber ohne den sensiblen Messfühler Kreuzband und seinen Reflexkreis über das Rückenmark kann die muskuläre Stabilisierung nur bedingt funktionieren. Meist ist es schon zu deutlichen Verschiebebewegungen des Unter- gegenüber dem Oberschenkelknochen im Kniegelenk gekommen, bevor die Muskeln überhaupt reagieren. Das Knie wird weiter geschädigt.
Dies macht eine Operation bei sportlich aktiven Menschen unumgänglich.
Da eine Naht des vorderen Kreuzbandes leider nicht funktioniert, haben sich Heutzutage verschiedene Techniken zum Ersatz des vorderen Kreuzbandes etabliert.
Am Häufigsten eingesetzt werden heute zwei verschiedene Transplantate: Die Kniescheibensehne (Patellarsehne) oder Semitendinosus- zusammen mit der Gracillissehne, zwei Sehnen aus dem hinteren Oberschenkel. Beide Verfahren haben Ihre Vor und Nachteile.
Hier mal ein paar nackte Zahlen zur Mechanik des Kreuzbandes und der häufigsten Transplantate:
Ein gesundes Kreuzband hat eine Reißfestigkeit von ca. 2160 N. Das entspricht ungefähr 220kg. Die Reißfestigkeit eines Patellarsehnentransplantates entspricht je nach gewählter Breite zwischen 2400 und 3600 N. Die Sehnen aus dem hinteren Oberschenkel sind sogar noch stabiler. Ein 4-fach gelegtes Transplantat aus Semitendinosus- und Gracillissehne hat eine Reißfestigkeit von über 4100 N. Das entspricht mehr als 410 kg.
Da die Transplantate für sich genommen alle zu Beginn deutlich stabiler sind als das natürliche Kreuzband ist die Schwachstelle des Systems nicht das Transplantat, sondern die Befestigung des neuen Bandes am Knochen. Hier steht eine Vielzahl an unterschiedlichen Implantaten bereit. Alle diese Schrauben, Blättchen oder Pins sollen die Sehne im Knochen halten. Sie tun dies auch, die einen mehr die anderen weniger stabil.
Letztendlich bleibt jedoch nichts anderes übrig, dem Transplantat ausreichend Zeit zu geben, dass es im Knochen richtig festwachsen kann.
Hier spielt das Transplantat aus der Patellarsehne seinen vielleicht einzigen echten Vorteil gegenüber dem Semitendinosus- und Gracillissehnentransplantat aus. Durch die an der Patellarsehne vorhandenen Knochenstücke, wächst es viel schneller im Knochen an und ist oftmals bereits nach 6-12 Wochen fest eingewachsen.
Kommen wir wieder auf Sami Khedira zurück. Bereits am nächsten Tag berichten die Medien über eine Ausfallzeit von ca. 6 Monaten. Warum die 6 Monate, wenn so ein Transplantat in 12 Wochen eingeheilt ist.
Das Zauberwort heißt „Ligamentisierung“. Bei der Entnahme des Transplantates werden alle Blutgefäße, die es versorgt haben, durchtrennt. Es wird dem Körper entnommen und an einer vollständig anderen Stelle im Körper eingesetzt. Diese Durchtrennung aller Blutgefäße führt dazu, dass ein Kreuzband-Transplantat immer zunächst teilweise abstirbt.
Alle Leser die sich im vorigen Abschnitt noch über die hohe Reißfestigkeit der Transplantate gegenüber einem natürlichen Kreuzband gefreut haben, soll an dieser Stelle gesagt sein, das Transplantat bleibt nicht so stabil.
Durch das teilweise Absterben verliert das Transplantat erheblich an Reißkraft. Diese kann sogar soweit abnehmen, dass die Reißfestigkeit des Transplantates vorübergehend deutlich unter der des gesunden Kreuzbandes liegt. Dann setzt der Prozess der Ligamentisierung ein. Was Übersetzt bedeutet: Die ehemalige Sehne wird zu einen Band- dem vorderen Kreuzband- umgebaut. Zunächst bilden sich neue Blutgefäße. Dann wandern Bindegewebszellen in die das Sehnentransplantat ein, die sogenannten Fibroblasten. Diese Fibroblasten starten dann mit einer kontinuierlichen Modifizierung der Kollagenstruktur des Transplantats. Dieser langsame Umbauprozess, bei dem aus der Sehne eine Band wird auch als Remodelling bezeichnet.
In den ersten 6 Wochen nach der Operation kommt es so zu einer erheblichen Abnahme der Reißfestigkeit. Erst danach kommt es langsam zu einer Stabilisierung des Transplantates und es gewinnt wieder an Festigkeit. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Prozess der Ligamentisierung mindestens 1 Jahr andauert. Derzeit gibt es keine Möglichkeit diesen Prozess zu beschleunigen. Auch die beste Physiotherapie, die Sami Khedira sicherlich erhalten wird, hat keinen Einfluss auf dieses phasenhaft ablaufende Heilverhalten des Bandes.
Viele Experten gehen davon aus, dass nach ca. 6-8 Monaten das neue Band die Reißfestigkeit eines gesunden Kreuzbandes erreicht hat. Einer Garantie dafür gibt es leider nicht. Aus diesem Grund, wird allen Freizeitsporten geraten nach einer Kreuzbandoperation mindestens 1 Jahr auf alle Risikosportarten zu verzichten. Der Druck auf unsere Profisportler ist aber so immens, dass diese oft deutlich früher wieder in ihren Sport einsteigen.
Leider kommt es hierdurch immer wieder zu herben Rückschlägen, wie es die lange Liste an Fußballern mit erneutem Kreuzbandriss beweist.
Ich darf Sami Khedira alles Gute auf seinem Genesungsweg wünschen und dass er bald wieder für die Deutsche Nationalmannschaft spielen wird.
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