Kaum wird die Diagnose Kalkschulter in den Mund genommen, erfolgt in Deutschland bereits der Ruf nach der Stosswellentherapie. Aber was ist diese Therapie eigentlich, welche unterschiedlichen Techniken werden eingesetzt und auf was sollte man achten?
Wenn mann die Stosswellentherapie verstehen will kommt man leider nicht um einige grundlegenden physikalischen Erklärungen herum. Nur so wird einem das Einsatzspektrum, die verschiedenen zum Einsatz kommenden Geräte und die Grenzen des Verfahrens verständlich.
Der Begriff Stoßwellentherapie leitet sich historisch von der Stoßwellenlithotripsie ab, die klinisch erstmals 1980 zur berührungsfreien und nicht-operativen Zertrümmerung von Nierensteinen angewendet wurde. Häufig wird die Stossellentherapie mit ESWT abgekürzt. E steht für Extrakorporal, was soviel wie außerhalb vom Körper eingesetzt bedeutet, SWT Stosswellentheapie.
Die Entstehung einer Stosswelle
Schall breitet sich immer Wellenförmig aus. Hierbei kommt es zu Druck und Dichteschwankungen in der Materie, in der sich der Schall bewegt. Läuft eine Schallwelle z.B. durch den Körper wird das Körpergewebe kurzfristig etwas zusammengedrückt und dann entspannt es sich wieder. Das alles passiert im Bruchteil einer Sekunde. Da sich größere Drücke schneller in Materie ausbreiten als geringe kommt es zu einem physikalischen Phänomen, was als Aufsteilen einer Welle bezeichnet wird. Kommt es aufgrund hoher Drücke nicht zu einem gleichförmigen langsamen Druckanstieg und Abfall sondern zu einem sehr schnellem Druckwechsel spricht man auch von einem Schall bzw. Druckpuls.
Bei noch größeren Drücken tritt das Phänomen des Aufsteilens immer mehr in den Vordergrund. Der Vorgang der Aufsteilung hat eine gewisse Ähnlichkeiten mit Wasserwellen, die sich am Strand überschlagen. Anders als bei Wellen an der Wasseroberfläche können sich Druckwellen in der Materie oder im Gewebe jedoch nicht überschlagen, sondern es kommt plötztlich zu einer sprunghaften Änderung des Drucks - eine Stoßwelle ist entstanden.
Charakteristisch ist bei einer Stoßwelle ein extrem schneller Druckanstieg in ca. 10ns (1/100 Millionstel einer Sekunde) und ein hoher Spitzendruck von bis zu 100MPa (das entspricht dem 1000 fachen Luftdruck oder dem Wasserdruck in 1000 Meter Tiefe !!!).
Um Stoßwellen oder Druckpulse zu erzeugen gibt es prinzipiell zwei grundverschiedene Möglichkeiten:
1. Druckpulserzeugung mit eletrischer Energie
2. Druckpulserzeugung mit mechanischer Energie
Die Druckpulserzeugung mit elektrischer Energie
Es werden vier verschiedene Methoden eingesetzt:
* elektrohydraulisch
* piezoelektrisch
* elektromagnetisch, Flachspule/Linse
* elektromagnetisch, Zylinderspule/Reflektor
Allen Systeme gemeinsam ist, dass mit großem technischen Aufwand und komplizierter Technik elektrische Energie in Schallwellen umgewandelt wird. Dies allein reicht aber noch nicht aus. Um die gewünschte Energie im Gewebe zu platzieren und eine echte Stosswelle zu erzeugen, müssen die erzeugten Schallwellen kompliziert gebündelt werden, so dass sie an einem Punkt (dem Zielgebiet) alle zusammentreffen.Dieser Vorgang wird Fokussierung gennant. Erst das Zusammentreffen und die Überlagerung der erzeugten Schallwellen im Fokuspunkt erzeugt die Stosswelle!
Druckpulserzeugung mit mechanischer Energie
Deutlich einfacher erfolgt die Druckpulserzeugung mit mechanischer Energie. Hier wird ähnlich wie bei einem Presslufthammer durcht Luftdruck ein Metallkörper beschleunigt der auf ein Prallkörper aufschlägt. Der Prallkörper liegt direkt der Haut auf, so dass sich die durch den Aufprall erzeugte Schall bzw. Druckwelle im Körper ausbreitet. Eine Focussierung findet bei diesem deutlich einfacheren und kostengünstigeren Verfahren nicht statt. Durch die fehlende Focussierung breiten sich die Schallwellen, "radiär" aus und erreichen nie die Energie die erforderlich wäre eine echte Stosswelle auszulösen. Der Begriff Stosswellentherapie bei Geräten die mit einer mechanischen Druckpulserzeugung arbeiten dürfte eigentlich nicht verwand werden, da eine Stosswelle nach physikalischer Definition nicht entsteht.
Zusammenfassung der Unterschiedlichen Stoßwellen / Druckpuls Verfahren bei der Kalkschulter
Fucussierte Stosswelle |
Druckwelle (unfocussierte |
Unterschied | |
Fokus | ja | nein | |
Ausbreitung | nicht-linear | linear | |
Aufsteilung |
ja | nein | |
Anstiegszeit | ca. 0,0002 ms | ca. 0,2 ms | ca. 1:1000 |
Kompressionspulsdauer | ca. 3 ns | ca 200-2000 ns | ca. 1:1000 |
positiver Spitzendruck | 0-100 MPa | 0-10 MPa | ca. 10:1 |
Energieflussdichte | 0-3mJ/mm² | 0-0,3mJ/mm² | ca 10:1 |
Ein weiterer erheblicher Unterschied bei beiden Technicken besteht im Punkt der maximalen Energie. Bei der Fokussierten Stoßwelle entsteht die Stoßwelle erst durch Überlagerung der Schallwellen im Zielgebiet. In anderen Gewebestrukturen wie der Haut treten nur geringe Energien auf. Bei einem radialen Stosswellengerät oder richtig radialen Druckpulsgerät ist das Energiemaximum am Eintrittsort des Schalls in den Körper und verliert dann auf seinem Weg zum gewünschten Zielort je nach Gewebedicke deutlich an Energie.
Wie kann ich als Patient die verchiedenen Stoßwellen Geräte unterscheiden?
Bereits im Aussehen der Schallapplikatoren (Schallköpfe) unterscheiden sich die Geräte erheblich. Durch die deutlich aufwendigere Technik bei der elektrischen Druckpulserzeugung und die Fucussiereinrichtung sind die Schallköpfe zur echten Stosswellengenerierung deutlich grösser und rundlich. Meistens ähnelt der Schallaplikator einer Kugel, bei der eine Hälfte aus Metall und eine Zweite aus einem weichen Kunststoff/Gel besteht, die den erzeugten Schall in den Körper leitet.
Die Geräte mit mechanischer Druckpulserzeugung (keine echte Stosswelle) haben meist die Form eines dicken Stiftes, an dessen Ende eine rundliche Metallspitze sitzt, die auf die Haut aufgesetzt wird
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Wie wirken Stosswellen oder Druckpulse?
Akustische Wellen können außerhalb des Körpers erzeugt und ohne Verletzung der Haut in den Körper eingeleitet werden. Damit ergibt sich die Möglichkeit, derartige Wellen im Körper an einem definierten Ort zur Wirkung zu bringen.
Unstrittig ist, dass Stoßwellen und Druckpulse eine biologische Wirkung entfalten, die man sich therapeutisch zunutze machen kann.
- Verbesserter Durchblutung
- Ausschüttung von Wachstumsfaktoren und anderen biologisch aktiven Stoffen (z.B. Substanz P)
- Hemmung des Enzyms Cox II
- Überstimmulation von Nervenfasern
Über die Wirkung der Radialen Stoßwelle schreibt ein führender Hersteller: "Die heute bekannten Wirkmechanismen der Radialen Stosswellen zusammengefasst, bedeuten: In der behandelten (Schmerz-) Zone kommt es zu Analgesie, verstärkter Durchblutung und reparativen Vorgängen an unterschiedlichen Gewebetypen" EMS- zur entsprechenden Seite>
Kann eine Stoßwellenbehandlung eine Kalkschulter heilen?
Falsch ist die Aussage: Die Stosswelle löst einen Kalkherd auf.
Da es sich hier um Schallwellen handelt, ist eine Stosswelle nicht in der Lage irgend etwas aufzulösen.
Richtig ist die Aussage: Die focussierte Stosswelle kann zur durch Aktivierung von Prozessen im Körper zur Selbstauflösung des Kalkes im Körper beitragen.
Aufgrund der grundlegenden Unterschiede, muss die radiale Stosswelle im Bezug zur Kalkschulter klar von der Focussierten getrennt werden.
Die Radiale Stosswelle zur Behandlung der Kalkschulter
Derzeit am häufigsten in Deutschland im Einsatz ist das sogennante Radiale Stosswellengerät (rESWT). Bei diesem Gerät handelt es sich jedoch nicht wie der Name fälschlicherweise zum Ausdruck bringt um ein Gerät zur Generierung von Stosswellen. In diesem Geräten werden mit mechanischer Energie lediglich unfocussierter Druckpulse erzeugt. Um jedoch nicht alle zu verwirren, wird im Weiteren (obwohl falsch) von der Radialen Stosswelle gesprochen und nicht wie eigentlich korrekt vom radialen Druckpuls.
Während der Therapie wird die Schallsonde mit der Form eines übergrossen Stiftes mit der Metallspitze über das schmerzhafte Areal an der Schulter bewegt. Typischerweise wird meist nicht nur ein einzelner Punkt sondern oft eine kleine Fläche behandelt, die den Sehnenansätzen oder einer ganzen Sehne entspricht.
Viele Studien haben eine deutliche Schmerzreduktion nach der Behandlung von Kalkschulter Patienten mit der Radialen Stosswelle berichtet. Dieses Phänomen ist bei vielen Patienten zu verzeichnen die Schmerzen an Sehnen oder Sehnenansätzen haben. Aus diesem Grund ist die radiale Stosswelle eine gute Therapie zur Behandlung von z.B. chronischen Sehnenansatzschmerzen.
Ob die Radiale Stosswelle aber zur Kalkauflösung beitragen kann ist in den guten und größeren Studien nicht eindeutig belegt. Zu bedenken ist, dass der natürliche Krankheitsverlauf einer Kalkschulter mit der spontanen Selbstauflösung des Kalkes einhergeht. Die in den verschiedenen Studien gewonnen Daten zur Kalkauflkösung lagen statistisch gesehen nicht beweisend über dem natürlichen Verlauf der Erkrankung mit spontanter Selbstauflösung. Viele Fachleute gehen davon aus, dass die in das Gewebe und in den Kalkherd eingebrachte Energie bei der radialen Stosswelle nicht ausreichend groß ist um eine Auflösung des Kalkherdes direkt zu bewirken.
Problematisch sind Zustände bei denen es nicht zur Auflösung des Kalkherdes kommt. Da auch weiterhin der auslösende Faktor der Sehnenschmerzen vorhanden ist, kommt es nach einem kurzen Intervall der Schmerzbesserung wieder zum erneuten Auftreten der Beschwerden.
Die hochenergetisch, focussierte Stosswelle zur Behandlung der Kalkschulter
Bei diesen Geräten wird aufwendig über eletrische Energie ein Druckplus erzeugt, der durch eine spezielle Focussiereinrichtung im Gewebe gebündelt wird. Erst am Focuspunkt im Gewebe entsteht durch Überlagerung die therapeutische Stosswelle. Diese Geräte sind meist deutlich teurer als die Geräte zu radialen Stosswelle und werden aus diesem Grund bereits deutlich seltener zur Therapie eingesetzt. Da bei dieser Therapie eine ganz erhebliche Energiemenge appliziert wird (im Vergleich zur radialen Stosswelle ca. 10-30 mal mehr) ist die Behandlung auch deutlich schmerzhafter. Aus diesem Grund wird oftmals eine Betäubung durchgeführt um die Behandlung erträglich zu machen.
Da die Energie an einem klar definiertem Punkt auftritt, muss bei der focussierten Stosswelle eine genaue Lokalisation des Therapiepunktes erfolgen. Wenn Sie einen Kalkherd an einer Schultesehne behandeln wollen, wünschen Sie, dass im Idealfall das Zentrum der Energie im Kalkherd und an den Grenzen des Kalkherdes liegt. Zum Zielen reicht ein Röntgenbild oder ein einfaches Ultraschallbild bei weitem nicht aus. Um ein genaues Zielen zu ermöglichen muss der Patienten erst "gelagert" werden , so dass der Patient und insbesondere der Arm nichtmehr bewegt werden kann während der Behandlung. Eine Bewegung des Arms in der Schulter würde alle vorherigen Zielmassnahmen zu nichte machen!
Dann muss der Kalkherd lokalisiert werden. Hierzu können Ultraschallgeräte oder fahrbare Röntgengeräte eingesetzt werden. Wurde die Lage des Kalkherdes genau bestimmt, muss noch die Entfernung von der Hautoberfläche zum Kalkherd festgestellt weden. Erst dann kann der Stosswellenapplikator so eingstellen werden, dass der Focus im Kalkherd liegt.
Nur durch einhalten dieses sehr aufwendigen Procerdere ist man in der Lage den Kalkherd gezielt zu behandeln. Auch eine erhebliche persönliche Erfahrung des Behandlers mit der Stoßwelle kann eine durch Bildgebung gestützte Lokalisierung in keinster Weise ersetzen. Ohne das aufwendige Zielen erfolgt eine Therapie ins "Blaue" mit vorprogrammierter wissenschaftlich belegter erheblich verminderter Erfolgsrate.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen für die hochenergetische, fokussierte Stosswelle eine Erfolgrsate bezüglich der Kalkauflösung deutlich über dem natürlichen Verlauf. Verschiedene Studien kommen jedoch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die Erfolgsraten für die vollständige Kalkauflösung liegen in den meisten Studien bei 20-50%.